Mutig dem Schatten begegnen

Hollywood-Produzent Harvey Weinstein hat mit den Vorwürfen sexueller Belästigung gegen ihn, eine Lawine der Coming-outs ausgelöst: Seit Wochen outen sich Frauen – und längst nicht mehr nur US-Schauspielerinnen – unter dem Hashtag #metoo, dass auch ihre Abhängigkeitssituation missbraucht wurde, um begrapscht, anzüglich belästigt oder vergewaltigt zu werden. Auch aus dem Umfeld des EU-Parlaments, der Spitzengastronomie oder der Medien werden Fälle angezeigt.

Ein gigantischer Pfuhl männlicher Abgründe scheint sich aufzutun. Dabei ist das Phänomen Jahrzehnte alt und aus nahezu allen Branchen bekannt, auch aus Banken oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Empörung überall. Doch es ist gut, dass diese Eiterbeule endlich platzt und etwas ans Licht kommt, was lange im Schatten lag. Denn hier können Männer UND Frauen „Awareness“ lernen.

Weinsteins Handeln ist nicht zu verteidigen, doch wir sollten vorsichtig sein mit Urteilen über den Menschen hinter diesem Verhalten. Ich glaube nicht, dass auch nur ein Mann als aggressives Sex-Monster auf diese Welt gekommen ist. Sowie ich nicht glauben kann, dass auch nur eine einzige Frau als Opfer das Licht der Welt erblickt hat. Und trotzdem, aus meiner Arbeit als Männercoach und aus meiner Lebenserfahrung weiß ich:

Ein ungeklärter Mann, der in seinem Leben genügend Deformation erfahren hat, ist in der Lage in seinem Umfeld sehr viel Unheil anzurichten.

Das muss nicht einmal so offensichtlich sein wie im Fall Weinstein. Doch Schatten, der nicht ausgeleuchtet wird, potenziert sich.

Als Coach ermutige ich besonders Männer, ihre Deformationen anzuschauen und zu klären. Ein Mann, der das Weibliche unbewußt oder bewußt als schwach abwertet, neigt potentiell dazu, auch Frauen abzuwerten. Männer, die Frauen sexuell ausbeuten, haben in der Regel Angst vor ihnen. Und während der eine bei Angst in die Depression geht und heimlich Pornos schaut, geht der andere mit all seiner Kriegerenergie in den Angriff. Aus dieser Angst heraus zerstören Männer das Weibliche – auch in sich. Machen sich kalt und gefühllos. Das ist nur eine schemenhafte Skizze, um Unbedarften einen Eindruck von den Mustern zu geben, die uns (fremd) steuern. Jede Biographie liegt anders.

Hingegen wird ein Mann, der seine Schattenanteile in Bezug auf das Weibliche geklärt und integriert hat, es in sich und im Gegenüber ehren. C.G. Jung hat die inneren männlichen und weiblichen Anteile mit Animus und Anima bezeichnet. Diese Archetypen wirken in jedem von uns. Wir alle sind durch den Fall Weinstein aufgefordert, diesen inneren Anteilen zu begegnen und gegebenenfalls wieder in Balance bringen. Für Frauen kann das beispielsweise bedeuten, ihren Animus anzuschauen und ihren inneren Krieger zu entwickeln, ohne dabei Weiblichkeit als schwach abzuwerten. Also viel zu tun.

Veränderung ist möglich

Doch Veränderung ist möglich, das belegen unzählige Biographien von Männern und Frauen, die in ihren eigenen Abgrund geschaut und bedingungslos an sich gearbeitet haben. Das ist die gute Nachricht.

In unserer Igroup, die wir einmal monatlich in Schorndorf anbieten oder im Einzelcoaching bieten wir jedem Mann die Möglichkeit, therapeutisch an sich zu arbeiten. So an sein Unbewußtes zu kommen und dort fehlgeleitete Codierungen neu zu chiffrieren. In seinen Frieden, seine Awareness und Resilienz kommen kann jeder. Doch dazu braucht es eher Mut als Empörung.

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