Gestalttherapie kennt fünf Formen

Die Gestalttherapie, die auf C.G. Jung zurückgeht und von Fritz Perls und anderen um 1940 in den USA entwickelt wurde, hält jede Störung in Beziehungen für eine Kontaktstörung. Deshalb laden wir Gestalttherapeuten dazu ein, in den „vollen Kontakt“ zu gehen und zu schauen, was passiert.

Im „vollen Kontakt“ finden wir Antworten

Im Alltag meiden wir „vollen Kontakt“ häufig – aus Angst vor Ablehnung oder dem Blick in den eigenen Abgrund. (Foto: Pexels)

Im Alltag tun wir in der Regel genau dies nicht. Denn beim anderen scheuen wir den Konflikt oder die Ablehnung und bei uns selbst den Abgrund, der sich auftun könnte, wenn wir etwa in vollen Kontakt mit unserer Einsamkeit, Trauer oder dem Selbstzweifel gehen. Aber nur in diesem vollen Kontakt finden wir Antworten.

Ein guter Gestalttherapeut ermuntert deshalb zum Experiment, zum „mal schauen, was dann passiert“ oder zur vorauseilenden Kompetenz. Das heißt, wir tun jetzt mal so, als ob wir uns selbst grenzenlos vertrauen oder uns lieben würden. Was ist dann? Wie fühlt sich das an? Was spüre ich dann? Das Experiment darf übrigens auch mal scheitern. Daran kann ich dann üben, mir das Scheitern zu verzeihen oder mich auf die nächste Chance zu freuen.

Mit diesem Perspektivwechsel macht der Klient wieder neue Erfahrungen und kommt in eine andere Haltung und Energie.
 Denn im Negativen wird ihm der Bedarf nach Veränderung, nach Verwandlung oder sogar nach Heilung oder zumindest nach Überwindung alter Traumata bewusst. Das heißt, das Unbewußte, der lähmende Schatten, kommt im vollen Kontakt ans Licht.

Die Folge: Der Schatten verschwindet. Und: Das Licht wirft geradezu zwangsläufig neue Schatten. Dieser erlöste oder bewusste Schatten aber lähmt nun nicht mehr, sondern hält achtsam (Awareness). Er dient als Frühwarnsystem, aus Situationen und Beziehungen zu gehen, die mir nicht gut tun.

Bewusst gewordener Schatten dient als Frühwarnsystem, aus Situationen und Beziehungen zu gehen, die mir nicht gut tun.

Die Gestalttherapie kennt fünf Formen der Kontaktstörung:

Die Retroflektion: Sie entsteht durch Druck von außen, der nicht abfließt, sondern in der Person stecken bleibt. Das passiert meist in Abhängigkeitsstrukturen und führt zu Autoaggression, weil der Betroffene aus dem Kontakt zum Gegenüber geht, sich etwa nicht abgrenzt oder wehrt, aus Angst vor Sanktionen. Das führt in die Depression. Der Therapeut leiht dem Klienten dann bspw. seine Veränderungsenergie, in dem er ihn in die Wut über seine Situation bringt, ihn etwa über eine paradoxe Intervention quasi provoziert.

Die Projektion: Sie entsteht dort, wo eigene, unbewußte Eigenschaften auf das Gegenüber projiziert werden. Nicht ich bin eitel, sondern vermeintlich der andere. Im positiven Sinn findet die Projektion in der Verliebtheit statt: Der andere verkörpert alles, wonach ich mich sehne. Das Subjekt verliert sich dabei aber im Objekt und spürt seine eigenen Bedürfnisse nicht mehr oder verleugnet sie, was wiederum aggressiv und vorwurfsvoll macht.

Die Introjektion: Sie ist ein Glaubenssatz, den der Betroffene wie eine Monstranz vor sich herträgt und kultiviert, oft auch, um bspw. nicht in die eigene Verantwortung zu gehen. Solche Sätze heißen „ich kann das nicht“, „dafür bin ich zu feig, klein, dumm etc.“, „das habe ich noch nie gemacht“ oder auch „ich darf das nicht“ oder „dafür bin ich nicht ausgebildet“. Diese Introjekte werden überwunden, wenn sie im Labor quasi experimentell mal nicht beachtet werden, also übergangen.

Die Deflektion: Sie beschreibt das Ausblenden eigener Bedürfnisse und Handlungsoptionen. Weil der Kontakt zu sich selbst fehlt, spürt und sieht der Betroffene nicht, was er braucht oder kann. So werden Konflikte gar nicht wahrgenommen, bewusst verdrängt oder ins Lächerliche gezogen, damit sie nicht gelöst werden müssen. Statt in der Gegenwart bewegen sich Betroffene stark in der verklärten Vergangenheit und treten übertrieben konventionell und höflich auf.


Die Konfluenz: Hier verschmelzen ich und Du. Die Harmoniesucht überlagert die eigene Person und Position. Sie praktizieren häufig langjährige Paare, die sich nichts mehr zu sagen haben und den Kontakt aus Angst vor dem Konflikt vermeiden. Solche Personen sind stark burn-out-gefährdet, weil diese Vermeidung Kraft kostet und man stets die Bedürfnisse anderer erfüllt. Bei stillenden Müttern ist diese Konfluenz elementar, um das Baby optimal zu versorgen – emotional wie physisch.

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