Eine Drohung mit hoffentlich wenig Wirkung
„Bleib, wie du bist!“ – gerne schmücken Leute Glückwunschkarten zum Geburtstag mit diesem Apell. Doch dazu müsste ich erst einmal wissen, wie ich denn tatsächlich bin. Oder zumindest wie mich meine Frau, die Kinder und der Hund wahrnehmen. Einer aktuellen Studie der University of California in Davis zufolge, wissen wir das nämlich nicht besonders gut.
Vielmehr verwechseln wir, wie wir generell drauf sind, mit der augenblicklichen Wirkung auf andere. Jeder von uns verhält sich ab und an wie ein Vollidiot, hält sich aber im Allgemeinen für sehr umgänglich. Bei den 250 Studienteilnehmer zeichnete ein Diktiergerät eine Woche lang verbale Kostproben des Verhaltens auf. Die Probanden mussten überdies mehrfach täglich selbst kommentieren, wie sie sich so wahrnehmen. Der Vergleich der zufälligen Statements mit dem Eigenbild zeigt:
Wir haben ein ganz gutes Gefühl für klassische Persönlichkeitsmerkmale. Die Extravertierten wissen, dass sie sich gerne mit anderen Menschen austauschen und Applaus mögen. Auch spüren wir intuitiv, wann wir sehr gewissenhaft oder übertrieben drauf sind – uns also neurotisch verhalten.
Komplett darunter
Was jedoch komplett unter dem Gefühlsradar fliegt, ist, wie verträglich wir im Moment sind. Wir spannen nicht, wann wir wie ein HB-Männchen durch die Decke gehen oder mit Quadratlatschen durch das Gefühlsbeet unserer Mitmenschen trampeln. Weil wir empathielos den anderen nicht wahrnehmen, mit dem wie er oder sie gerade da ist.
Das ist im ersten Moment ziemlich doof. Denn ein Arschloch will ja keiner sein, solange er nicht Donald Trump heißt. Und wahrscheinlich will auch er keines sein. Womit wir wieder bei unserem aktuellen Verhalten sind, das wir nicht oder gestört wahrnehmen.
Die gute Nachricht: Reflektion lässt sich trainieren. Neurologisch ist inzwischen geklärt, dass wir unter Stress auf altbewährte Verhaltensmuster – Stichwort aufbrausendes HB-Männchen – zurückgreifen. Wenn meine Frau mich ärgert, ärgere ich sie zurück. Je mehr ich unter Stress stehe, desto mehr arbeiten die Areale in meiner Amygdala, dem Angstzentrum unseres Gehirns.
Aussteigen aus dem Drama
Alleine dieses Wissen kann schon helfen, aus dem Drama auszusteigen. Vor allem aber kann ich mir in einem sicheren Setting genau solche Situationen anschauen und an meinem Verhalten, wie in einem Training, arbeiten. Je öfters ich das mache, desto eher kann ich mich erkennen, wie ich wirklich bin. Und mein Verhalten ändern, wenn mir das alte Muster nicht mehr dient. Ich muss meine Frau nicht anmaulen, wenn sie mich anblafft. Ich darf sie in den Arm nehmen und ihr sagen, dass ich sie halten möchte.
Ideal ist, wenn im Fall Ehepaar beide bereit sind Empathie zu „trainieren“. Das geht, indem ich mir meiner Gefühle bewusstwerde. Jeder für sich und auch gemeinsam kann das sehr erleichternd, ja berauschend, sein. Dass das in einer Gruppe und mit einem Therapeuten Sinn macht, steht außer Frage. Denn zuhause beim Abendbrot, mal nebenbei, macht das keiner und es gelingt auch nicht ohne professionelle Hilfe. Meine Zähne lasse ich schließlich auch vom Zahnarzt reparieren und bohre nicht vor dem Spiegel in meinem Mund herum, weil ich einen Akkuschrauber habe.
Die Glückwunschkarten übrigens, die mir sagen, dass ich doch bitte so bleiben soll wie ich bin, werfe ich weg. So ein Schmarrn. Ich will Veränderung oder besser Wachstum. Auf dem Konto aber besser an innerer Gelassenheit …